Paolo Micheli, Mitglied der Europäischen Demokratischen Partei und Bürgermeister von Segrate, einer wichtigen Gemeinde im Hinterland von Mailand, Italien, bringt in dieses Manifest die Erfahrungen eines Mannes ein, der täglich mit der Verwaltung einer lokalen Gemeinschaft konfrontiert ist. Sein Beitrag entspringt der Überzeugung, dass Europa wieder zu einem Raum der Solidarität, der Bildung, der Nachhaltigkeit und der Partizipation werden muss.
Ausgehend von den konkreten Bedürfnissen der Menschen schlägt Micheli eine europäische Vision vor, die in Werten verwurzelt ist und sich mutig den Herausforderungen unserer Zeit stellt. Ein Beitrag, der Verwaltungskompetenz mit Zukunftsorientierung verbindet.
VERWURZELT UND MUTIG
Manifest für ein neues Europa
Das Europa, von dem wir träumen, ist kein ängstliches, in der Vergangenheit verhaftetes, von egoistischen Interessen getriebenes Europa. Es ist ein Europa, das in seiner Geschichte und seinen tiefsten Werten verwurzelt ist und zugleich mutig in die Zukunft blickt. Wir Europäer. Verwurzelt und mutig, denn nur wer Wurzeln hat, kann ohne Angst nach vorne blicken. Aber um dieses Europa zu bauen, reicht es nicht, still zu stehen und nachzudenken: Man muss sich auf den Weg machen, gehen, Menschen treffen, sich austauschen. Auf der Straße werden Gemeinschaften aufgebaut, Ängste abgebaut und Zukunft geschaffen. Wir brauchen starke und bescheidene Persönlichkeiten, die Widerstand leisten und die Gesellschaft voranbringen. Menschen mit Visionen, die uneigennützig und gerade deshalb zutiefst „interessiert“ sind: am Gemeinwohl, am Wohl aller.
- 1. Der wahre Fortschritt einer Stadt misst sich an der Fürsorge für die Schwächsten
Unsere Städte bestehen nicht nur aus Gebäuden und Infrastrukturen, sondern auch aus Menschen. Fortschritt misst sich nicht an Wolkenkratzern oder der Geschwindigkeit von Internetverbindungen, sondern an der Fähigkeit, sich um diejenigen zu kümmern, die in Not sind. Ein starkes Europa ist ein Europa, das sich um die Schwachen kümmert. Die Schwächsten trifft man auf der Straße, und dort zeigt sich das Herz einer Stadt.
- 2. Bildung hat Priorität
Bildung ist kein Luxus, sondern die strategischste Investition in die Zukunft. Schulen, Universitäten, Bibliotheken und Ausbildungsstätten müssen das pulsierende Herz der Gemeinschaft sein. Wenn wir eine bessere Zukunft wollen, müssen wir heute die Saat säen. Auf der Straße wächst man, lernt man, lehrt man. Das Europa, von dem wir träumen, ist ein Europa, das zu Verantwortung und Schönheit erzieht, das in der Lage ist, die starken und mutigen Geister der Gesellschaft zu fördern, die unbestrittenen Träger der menschlichen Werte.
- 3. Es ist eine Illusion zu glauben, dass wir uns allein retten können.
Niemand kann sich selbst retten. Das ist die Illusion unserer Zeit: zu glauben, dass Technologie, Reichtum und Macht ausreichen, um die Zukunft aller zu sichern. Europa wird vor allem dann groß sein, wenn es sich als Gemeinschaft versteht, wenn es die Werte der Solidarität, des Zusammenhalts, des gemeinsamen Planens und Handelns wiederbeleben kann. Auf der Straße hilft man sich gegenseitig, unterstützt man sich, rettet man sich gemeinsam.
- 4) Selig die Sanftmütigen
Sanftmut ist die höchste Form der Stärke. Europa darf nicht arrogante und überhebliche Mächte nachahmen. Es muss ein Beispiel der Dialogfähigkeit, des Zuhörens und des Respekts sein. Gewalt, auch verbale Gewalt, ist ein Gift, das das soziale Gefüge zerfrisst. Wir brauchen sanfte und mutige Führungspersönlichkeiten, die neue Wege aufzeigen können, ohne ihre Stimme erheben zu müssen. Auf der Straße lernt man Geduld, Freundlichkeit und die Fähigkeit, anderen zu helfen.
- 5. Die Schönheit der Vielfalt
Die politische Korrektheit hat den Weg für die Akzeptanz der Vielfalt geebnet, und zwar jeder Art von Vielfalt, individueller und kultureller Vielfalt. Die Kraft und die Schönheit unserer tausend sprachlichen Traditionen, unserer lokalen, regionalen und nationalen Gemeinschaften ermöglichen den Europäern ein Zusammenleben, das sie bereichert und wachsen lässt. Auf den Straßen und Plätzen Europas treffen Tradition und Innovation aufeinander und bereichern sich gegenseitig.
- 6. Auch Zeichen sind wichtig
Wir leben in einer Zeit, in der der Wert von Gesten, Symbolen und der Schönheit, die uns umgibt, unterschätzt wird. Doch was wir sehen, was wir feiern, was wir der Welt zeigen, sagt viel darüber aus, wer wir sind. Europa muss wieder mehr Wert auf Zeichen legen, auf die Liebe zum Detail, auf die Schönheit, die die Gegenwart anspricht. Auf der Straße kann ein kleines Zeichen alles verändern: eine Geste der Fürsorge, ein hoffnungsvoller Blick, ein Symbol, das verbindet.
- 7. Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Wahrheit
Europa steht vor einer Zeitenwende. Künstliche Intelligenz verändert Arbeit, Kultur, Politik und soziale Beziehungen. Sie revolutioniert die Kommunikation: Sie kann genutzt werden, um neue Wahrheiten zu schaffen, die durch Bilder, Videos, Dokumente und plausible historische Rekonstruktionen belegt werden. Auf dem Weg, der vor uns liegt, kann George Orwells „1984“ schon in naher Zukunft Wirklichkeit werden. Auf dem Weg, den wir beschreiten werden, muss Europa in diesem neuen Zeitalter eine Führungsrolle übernehmen, indem es Innovation und soziale Rechte, Entwicklung und Menschenwürde mit der Autorität der Wiege der abendländischen Kultur verbindet.
- 8. Ein Europa, das saubere Luft atmet
Die Besten zu sein, ist anstrengend und kann teuer sein. Europa war die Wiege der industriellen Revolution, die auf dem ungezügelten Verbrauch von Rohstoffen, der Verschmutzung von Boden, Wasser und Luft und der rücksichtslosen Ausbeutung der Arbeitnehmer beruhte. Heute muss es zeigen, dass es möglich ist, einen Weg zu einem neuen Gleichgewicht zu finden, um unseren Planeten, den einzigen, den wir haben, zu retten. Wenn Sie die Straße entlang gehen, lassen Sie sie sauber für die, die morgen kommen.
- 9) Neue Kommunikation für eine neue Zeit
Die Politik und die öffentliche Debatte befinden sich in einer tiefen Krise. Hassreden, extreme Vereinfachung und Konfrontationslogik ersticken das Denken und die Beteiligung. Es ist an der Zeit, einen neuen Ton in der Kommunikation zu finden: authentischer, tiefgründiger, konstruktiver. Auf der Straße werden Worte wieder zu Brücken, nicht zu Mauern. Wir brauchen eine Politik, die dialogisiert, nicht schreit. Die verbindet, nicht spaltet.
- 10. Neue Beteiligung für eine neue Politik
Politik und Gesellschaft erleben heute eine Krise der Beteiligung. Bürgerschaftliches Engagement wird allzu oft als Last und nicht als Weg zur Selbstverwirklichung und zum gemeinsamen Wachstum gesehen. Echte Demokratie braucht aktive Bürger, die bereit sind, sich einzubringen und gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Vor Ort zeigt sich, dass der Einsatz für das Gemeinwohl eine Berufung ist, die zwar gegen den Strom schwimmen kann, aber gerade deshalb mit Gelassenheit und tiefer Freude gelebt werden sollte.
Fazit
Verwurzelt in unserer Geschichte, mutig die Zukunft gestalten. Das Europa, das wir wollen, verschließt sich nicht der Angst, sondern öffnet sich der Hoffnung. Es verteidigt nicht Privilegien, sondern schafft Chancen. Es baut keine Mauern, sondern Brücken. Wenn wir den Mut haben, uns auf den Weg zu machen, brauchen wir keine Angst vor der Zukunft zu haben.